Lesenswert 21 Q&A-Session: Fragen aus dem Publikum an Prof. Clemens Fuest „ Bei steigendem Wohlstand ist auch festzustellen, dass mehr Freizeit konsumiert wird. Aber Freizeit wird nicht besteuert. “ Publikum: Was halten Sie von der 4-Tage-Woche? Prof. Dr. Dr. h.c. Clemens Fuest: Als Ökonom würde ich sagen, wenn Leute nur vier Tage arbeiten wollen, dann sollen sie halt tun, das können sie auch heute schon. Bei vollem Lohnausgleich wird das natürlich schwierig, weil dies bedeuten würde, dass die Stundenlöhne entsprechend ansteigen. Grundsätzlich ist es ökono- misch, nicht das Maximum zu arbei- ten, sondern ab einem gewissen Punkt auch entsprechend Freizeit zu konsu- mieren. Und wenn Menschen sich da- zu entscheiden, dann ist das ihre Sache. Bei steigendem Wohlstand ist auch festzustellen, dass mehr Freizeit konsumiert wird. Aber Freizeit wird nicht besteuert. Und ein entscheiden- der Faktor ist, dass wir trotzdem unse- re Staatsverschuldung bedienen müs- sen. Und wenn wir uns für mehr Freizeit entscheiden, können wir die Staatsverschuldung nicht mehr bedie- nen und auch den Sozialver- pflichtungen nicht mehr ausreichend nachkommen. Wenn wir also eine Generation haben, die nur noch zu 80% arbeiten will, so können wir un- seren Generationenvertrag nicht mehr bedienen, denn die Abgaben fließen nur noch zu 80% in die Kassen. Die ak- tuellen und künftigen Rentner ma- chen aber gleichzeitig nicht auch eine 4-Tage-Woche, sie hätten gerne ihre 5-Tage-Rente. Als Ökonom vertrete ich die Einstellung, jeder soll so viel arbeiten wie er möchte, aber er soll auch mit den Konsequenzen das Einkommen betreffend damit zu- rechtkommen. Publikum: Sind wir auf dem Weg von „Made in Germany zu Invented in Germany“? Ist das die Lösung? Prof. Dr. Dr. h.c. Clemens Fuest: Das ist heute zum Teil schon Realität, die deutsche Industrie hat sich bereits umstrukturiert. Wenn wir uns anse- hen, was die dominierenden Tätig- keiten sind, die heute ausgeübt wer- den, so kann man feststellen: Die Fer- tigungsberufe haben abgenommen, weil Fertigungen ausgelagert werden. IT-Berufe sowie Jobs in Forschung, Entwicklung und Dienstleistung neh- men dagegen zu. Es gibt Länder, die sehr produktiv waren beim Schaffen von produktiven Dienstleistungs- berufen. Schweden ist hierfür ein sehr positives Beispiel, Italien und Spanien sind dagegen eher Negativbeispiele. Publikum: Wie oft haben Sie diesen oder andere Vorträge einer Regierung gehalten? Prof. Dr. Dr. h.c. Clemens Fuest: Ich habe mit vielen Politikern, auch oft mit Frau Merkel, gesprochen und viel Vorträge gehalten. Aus der Politik wird grundsätzlich sehr viel Wissen nach- gefragt. Meine Erfahrung ist jedoch: Die Politik interessiert sich meist stark für die nächsten sechs Monate. Wenn ich mit Frau Merkel gesprochen habe – und das ist sicherlich kein Geheimnis, das ich verrate – habe ich oft, wenn es um langfristige Entwicklungen ging, den sinngemäßen Satz gehört, das mag richtig sein, aber dafür habe ich keine Mehrheiten. Es ist leider so, das langfristige Entwicklungen teilweise ausgeblendet werden. Es geht in der Politik immer um Mehrheiten, und wenn die nicht da sind, werden die Entscheidungen nicht getroffen. Es ist schon erschreckend, dass wir diese ex- treme Kurzfristabhängigkeit haben. Aber die Politiker wissen natürlich auch selbst um diese Problematiken. Publikum: Sehen Sie bei den Politikern den Willen, über den Teller- rand in andere Länder zu blicken? Prof. Dr. Dr. h.c. Clemens Fuest: Den gibt es mit Sicherheit. In den Jahren bis 2019 war es jedoch meist andersrum. Deutschland galt als sehr erfolgreich, viele haben auf Deutsch- land geschaut, auch wenn natürlich andere Staaten ebenfalls erfolgreich waren. Ein interessanter Vergleich: Wenn Sie einen Formel1-Wagen ha- ben, der immer vorne dabei ist, dann schrauben Sie auch nicht daran her- um. Wenn etwas sehr gut läuft, dann verändern Sie ungern. Auch Angela Merkel wusste um die Problematik, dass günstiges Gas aus Russland ein Risiko ist. Aber Kosten aufzunehmen, um ein Risiko zu vermeiden, wird beim Wähler nicht entsprechend belohnt, sondern eher bestraft. Wir kritisieren oft die Politik. Vielleicht sind aber auch nicht die Politiker das Problem, sondern wir als Wähler. Hätte man vor Jahren z.B. Investitionen in teure LNG- Terminals zur Abstimmung gestellt, hätten wohl die meisten für günstiges Gas aus Russland gestimmt. „ Es geht in der Politik immer um Mehrheiten, und wenn die nicht da sind, werden die Entscheidungen nicht getroffen. “ 2 // 2023